Fort Worth Stockyards – von Marketing-Genies und unverhoffter Wild-West-Romantik
Fort Worth, Texas? Sind das nicht die Verrückten, die jeden Tag eine Herde Kühe durch ihr Stadtzentrum treiben? Fast!
Verrückt ist meiner Meinung nach nämlich nicht ganz das passende Wort. Skurril. Kitschig. Sinnfrei vielleicht… Doch verrückt? Definitiv nicht! Denn wer es schafft, Horden von Touristen davon zu überzeugen, sich in Reih und Glied aufzustellen – und das in Fort Worth, Texas sogar gleich zweimal täglich! –, nur um dem aus irgendwelchen rätselhaften Gründen ach so berühmten Cattle Drive aus sicherer Entfernung zuwinken zu dürfen, der ist definitiv alles andere als verrückt. Ich würde vielmehr behaupten: Wer sowas schafft, der ist ein absolutes Marketing-Genie!
Und das sind sie definitiv, die Bewohner dieses kleinen Fleckchens im Nordwesten der texanischen Metropole. Denn auch das mit dem Stadtzentrum stimmt leider nicht ganz. Die Fort Worth Stockyards nämlich – wir sprechen hier übrigens von ein, zwei Straßen rund um das historische Cowtown Coliseum und die Stockyard Station – sind alles andere als ein dicht besiedelter, von Zeitgeist nur so sprudelnder Schmelztiegel der Kulturen, in dem nun mal auch ein paar tierische Zutaten einen Gastauftritt haben. Nein, auch hier schwebt mir ein viel spannenderer Begriff vor Augen: anachronistisch… Ja, jetzt ist es raus: Die berühmten Fort Worth Stockyards sind etwas altbacken.
Wie an einem Relikt aus einer anderen Ära hält man in den Fort Worth Stockyards fest an einer Zeit, als Männer noch Männer waren und täglich tausende Rinder durch verstaubte Straßen getrieben und von rußverschmierten Händen auf kilometerlange Züge gen Norden verladen wurden. Echte Kerle in tiefbrauner Ledergarnitur rufen sich in Anlehnung daran bis heute in Fort Worth, Texas zaghaft gestikulierend sinnentleerte Worthülsen über die Hörner gelangweilt vor sich hin trottender Bestien zu, während 
neon-gelbe Gesetzeshüter vergeblich versuchen, die tobende Touristenmeute im Zaum zu halten.
Platzpatronen-Sheriffs und Plastik-Ganoven kämpfen in Fort Worth, Texas vor der jubelnden Menge darum, den verhassten Stern endlich niederlegen und aus dem Strudel des permanenten Irrsinns ausbrechen zu dürfen, während die alte Lock mit letzter Kraft im mit homogenen Souvenirläden gemästeten Güterbahnhof einfährt, bevor sie mit einem keuschenden Pfut-Pfut unter der Last vollgepackter Reisekoffer zusammenbricht…
Oder man streift die ganzen Vorurteile des ach so gebildeten Weltreisenden ausnahmsweise einmal ab und betrachtet die Fort Worth Stockyards einfach nur als das, was sie doch eigentlich sind: ein super unterhaltsames Wochenendziel für Eltern, die gerne etwas zuviel zahlen, um ihren Kindern 10 spaßige Minuten in einem improvisierten Kuhstalllabyrinth zu gönnen, und auch vor leicht überteuerten Burgern in Plastikkörben nicht zurückschrecken.
Und wer sich etwas Mühe gibt und ein, zwei Schritte aus der Masse heraus wagt, der findet in Fort Worth mit der Texas Cowboy Hall of Fame oder Billy Bob´s Texas – dem laut eigenen Angaben größten Honky Tonk der Welt! – neben Hyatt-Parkplatz und Sonic Drive-In sogar noch ein Quäntchen echtes Cowboy-Feeling. Und wer dann auch noch so viel Glück hat wie wir, der muss nicht einmal auf das obligatorische Samstag-Nacht-Rodeo in den Fort Worth Stockyards warten, sondern kommt beim Valentinstags-Barrel-Racing zwischen Coors Light und Cheddar-Popcorn sogar schon nachmittags ganz unverhofft in den freudigen Genuss ungezähmter Wild-West-Romantik.
